Flutkatastrophe: Heute vor zehn Jahren
Vor genau zehn Jahren rückten die beiden Kreisfeuerwehrbereitschaften des Landkreises Aurich zur Jahrhundertflut durch das Elbehochwasser nach Amt Neuhaus im Landkreis Lüneburg aus. Nach 50 Jahren war dies der erste Einsatz für die Bereitschaften. Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und das Technische Hilfswerk (THW) sowie die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) aus Norden waren im Kampf gegen steigende Pegelstände im Einsatz. Anfang August 2002 sorgten starke Regenfälle in den Alpen, im Erzgebirge und dem Riesengebirge für verheerende Überflutungen in Deutschland, Tschechien, Polen, Österreich und Italien. Zahlreiche in die Elbe mündende Flüsse führten Hochwasser. Dadurch erreichte auch die Elbe bedrohliche Pegelstände. Vielerorts trat sie über die Ufer und wuchs auf ein vielfaches ihrer ursprünglichen Größe an. Deiche brachen, ganze Landstriche wurden überflutet, Häuser und Brücken fortgerissen, Menschen als auch Tiere verletzt und gar getötet.
Die örtlichen Behörden riefen den Katastrophenalarm aus und forderten Hilfe an. Für viele Hilfsorganisationen und Katastrophenschutzeinrichtungen wie beispielsweise die Bundeswehr, das THW, DLRG, das DRK sowie viele Feuerwehren stand somit ein wochenlanger Katastropheneinsatz bevor.
Am 19. August 2002 erreichte um 10.21 Uhr die Rettungsleitstelle Aurich per Fax die offizielle Anforderung der Bezirksregierung Weser-Ems von 20.000 Sandsäcken aus der Sandsackreserve des Landes Niedersachsen. Aus dem Katastrophenschutzlager unter der Norder Berufsschule (heute Conerus-Schule) in der Schulstraße wurden die Jutesäcke mit einem Baustellenkran hochgehievt und von Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr Norden auf den bei der Norder Wehr stationierten Schlauchwagen (SW 2000) des Bundes verladen. Knapp vier Stunden nach der Anforderung machten sich damals die drei Feuerwehrmänner Timo Klingenborg, Fokko Schumann und Thomas Weege auf den Weg nach Amt. Die heute noch aktiven Feuerwehrmänner waren damals alle samt Wehrersatzdienstleistende bei der Feuerwehr und wurden kurzfristig von ihren Arbeitgebern für den Katastropheneinsatz freigestellt und packten zu Hause schnell eine Tasche mit Wechselkleidung für mehrere Tage. Wie lange ihr Einsatz dauern würde, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Auch nicht was sie dort erwarten wird. Im Fernsehen hatte man einige Bilder gesehen und so nur eine grobe Vorstellung von der Situation vor Ort erhalten.
Der Weg führte die Norder Kameraden zunächst an die Feuerwehrtechnische Zentrale in Wittmund. Dort traf man sich mit einer Gruppe des ABC-Zuges Holtrop, die dort ebenfalls Material für Amt Neuhaus lud. Mitten in der Nacht erreichten beide Fahrzeuge den Einsatzort im Katastrophengebiet. Die Sandsäcke wurden auf einem Bauhof abgeladen und zur sofortigen Befüllung an viele freiwillige Helfer aus der Region übergeben. Auf der Anfahrt hatte die Ostfriesen schon die bis an die Deichoberkante stehende Elbe und überflutetes Wohngebiet gesehen. Die ersten Eindrücke machten deutlich, dass die Lage dort wirklich sehr ernst war und die Norder dort einen außergewöhnlichen Einsatz erleben werden.
Nach dem Abladen traten die Holtroper gleich den Heimweg an. Sie gehören der Kreisfeuerwehrbereitschaft (KFB) Süd im Kreis Aurich an. Diese wurde zwischenzeitlich für einen möglichen Einsatz an der Elbe in Alarmbereitschaft versetzt. Ebenso die KFB aus dem Altkreis Norden. Die Norder bezogen dagegen ihr Nachtquartier in einer Schule im Ortskern von Amt Neuhaus. Dort war auch die Technische Einsatzleitung (TEL) für die Region untergebracht. Kaum hatten die Norder ihre Feldbetten aufgeschlagen, platzte ein Mitglied der TEL in den eigentlich als Kartenraum genutzten Raum und überbrachte den Nordern einen eiligen Einsatzauftrag. Mit dem Unimog sollten Materialien zur Deichsicherung an eine Einsatzstelle der Bundeswehr im zirka zehn Kilometer entfernten Pommau gebracht werden. Nachdem die Ladefläche mehr als voll beladen war, ging es mit Blaulicht und Martinshorn an die genannte Einsatzstelle, einem alten Grenzposten der ehemaligen DDR. Bei absoluter Dunkelheit fuhr man auf dem bereits stark aufgeweichten Deich den Heeressoldaten entgegen, um das ersehnte Baumaterial zur Deichsicherung abzuliefern.
Am nächsten Morgen erhielt in der Heimat die KFB Süd ihren Einsatzbefehl und machte sich Abmarschbereit. Im Krisengebiet arbeiteten die Norder währenddessen einen Fahrauftrag nach dem Anderen ab, vier weitere spannende Tage lang. Die Norder wechselten sich mit ihren Fahrten im Schichtbetrieb ab. Somit war das Norder Fahrzeug die ganze Woche rund um die Uhr im Einsatz. Neben Sandsäcken, Geotextilien, Baustahlmatten, Holzpfählen und anderen Hilfsmitteln zur Deichsicherung, brachten die Norder auch Essen, Getränke und Ersatzteile für Fahrzeuge an die teilweise äußerst abgelegenen Einsatzstellen. Dabei erlebten sie ein Zusammenhalt und eine Hilfsbereitschaft von Bevölkerung und eingesetzten Hilfskräften, die den Nordern bis heute in guter Erinnerung blieb.
Während ihres mehrtägigen Einsatzes trafen die Norder auch auf einige Bekannte. Da waren die Kameraden der Feuerwehr Hamburg-Boberg. Die Hamburger pflegten mit den Nordern damals schon eine langjährige Partnerschaft. An diesem Tag befand man sich gemeinsam in der rund 4800-Einwohner-Gemeinde im Einsatz gegen die Flutmassen. Eines frühen Morgens standen die Norder wieder mitten in menschenleerer Landschaft mit weiteren Einheiten in Bereitstellung. Plötzlich entdeckten sie das Fahrzeug der DLRG aus Norden. Die Ortsgruppe war mit ihren Tauchern ebenfalls zur Deichsicherung im Einsatz. Nach einem kurzen Gespräch trennten sich die Wege der Norder Helfer jedoch wieder.
Ein Einsatz führte die Norder auf einen großen Milchviehbetrieb, direkt am Deichfuß der Elbe. Der Hof musste wegen des drohenden Deichbruchs mit all seinen Tieren und den seit mehreren Generationen dort lebenden Familie evakuiert werden. Ein sehr emotionales Erlebnis. Unvergesslich sind auch die Fahrten durch überflutete Straßen in Hitzacker, auf der anderen Seite der Elbe.
Am Freitag, also am fünften Einsatztag der drei Norder, bekam die Kreisfeuerwehrbereitschaft Nord des Landkreises Aurich unter Leitung vom damaligen Abschnittsleiter Manfred Engel ihren Marschbefehl. Nach genau 50 Jahren mussten sich über 130 Einsatzkräfte der Feuerwehren und des DRK aus dem nördlichen Landkreis Aurich, darunter auch rund 29 Mitglieder der Norder Wehr, sich mit ihren Fahrzeugen formieren und geschlossen ausrücken. 1962 war der letzte Einsatz der Bereitschaft bei der Sturmflut entlang der deutschen Nordseeküste.
Vor Ort wurde die 150–köpfige Süd-Bereitschaft sowie die Schlauchwagenbesatzung abgelöst und deren Fahrzeug übernommen. Die Abgelösten traten noch in der Nacht die Heimreise an. Die Kreisbereitschaft war das gesamte Wochenende im Einsatz und verlegte unzählige Sandsäcke an den Elbdeichen. Bei der schweißtreibenden Arbeit trugen die Helfer zahlreiche Mückenstiche davon. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit und schwülwarmen Temperaturen vermehrten sich die stechwütigen Tiere rasant. Nachdem sich die Lage nach und nach entspannte und die Pegelstände sanken, konnte Helfer aus dem Kreis Aurich am Montag aus dem Katastropheneinsatz herausgelöst werden und heimkehren. Auf dem Hof des alten Feuerwehrhauses in der Klosterstraße warteten zahlreiche Kameraden und Familienangehörige auf die Fluthelfer und bereiteten ihnen feierlichen Empfang.
Während die Feuerwehren aus dem Kreis Aurich ihren Einsatz beendeten, war für die Helfer des Norder THW noch kein Ende in Sicht. Zwei Fahrer waren mit einem Lkw mit Anhänger ebenfalls an der Elbe im Transporteinsatz. Die Elektrofachgruppe war am Herzzentrum in Dresden eingeteilt. Die Klinik, die nur knapp 300 von der Elbe entfernt liegt, musste unter anderem von der Norder Netzersatzanlage mit Strom versorgt werden. Der Technische Zug wurde zur Deichverteidigung eingesetzt. Der heutige Ortsbeauftragte, Hilmer Mannott, war in Schönebeck als Fachberater tätig.
Auch zehn Jahre nach der Flutkatastrophe ist das Erlebte bei vielen Einsatzkräften noch immer in guter Erinnerung. Alle Beteiligten Helfer wurden mit der Flutmedaille 2002 vom Land Niedersachsen ausgezeichnet. Neben der Medaille gab es auch eine Dokumentations-CD mit Bildern und Presseartikeln der Jahrhundertflut. Die CD ist eine Pappmappe eingeschlagen, welche ein Bild ziert, auf dem der Norder Schlauchwagen im Einsatz auf einem Deich zu sehen ist. Somit repräsentiert die Norder Wehr den Einsatz vieler tausend Helfer bei dieser Naturkatastrophe.
Infokasten Kreisfeuerwehrbereitschaft:
Das Niedersächsische Brandschutzgesetzt sieht vor, dass Landkreise mindestens eine Feuerwehrbereitschaft aufzustellen haben. Im Landkreis Aurich gibt es in den beiden Brandschutzabschnitten Nord und Süd jeweils eine Bereitschaft, die in mehrere Fachzüge unterteilt sind. Die Mitglieder und die Fahrzeuge stammen aus den verschiedenen Ortsfeuerwehren des Landkreises. Aufgabe der Kreisbereitschaften ist die überregionale Hilfe bei Großschadenslagen, wie zum Beispiel Hochwasser, Waldbränden oder schweren Unglücken. Nach der Fluthilfe im Jahr 2002 im Kreis Lüneburg war die Bereitschaft Nord im 2010 beim Hochwasser in Osnabrück gefordert. Die Bereitschaft aus dem Abschnitt Süd war 2006 ebenfalls an der Elbe bei einem weiteren Hochwasser im Einsatz.
Eingesetzte Helfer der Feuerwehr Norden:
Sven Brodowski
Wilko Bruns
Thorsten Carls
Reinhard Eggers
Manfred Engel (†)
Wilhelm Fink
Matthias Friedrichs
Timo Frodermann
Andreas Haack
Karl Kettler
Stefan Kleen
Timo Klingenborg
Sascha König
Uwe Müller
Reinhold Ocken
Norbert Odenga
Ode Odens
Jörg Päpke
Siemen Rass
Thomas Ratzke
Christian Schipper
Arno Schröder
Fokko Schumann
Stephan Theißler
Erich Weege
Heiko Weege (†)
Thomas Weege
Als Koordinator in Norden:
Gerhard Krüger (†)